Die Musikerin und Theaterproduzentin Christiane Rösinger versucht, die dramatische Tradition der Weimarer Republik zu übernehmen. Erwin Piscator in „Die große Klassenrevue“ Piscators dramatische Tradition. Die rund 100-minütige Posse, die Video- und Tanzelemente, Lieder und Sketche beinhaltet, feierte am Mittwochabend im Berliner Hebbel-Theater (Hebbel am Ufer/HAU) unter großem Beifall Premiere.
Heute Abend reimt sich fast alles auf „reiche Schande“, wie zum Beispiel „Unterschicht, sagen Sie das nicht – wir alle sagen Mittelschicht.“ Die Vorstellung, dass Klasse und das Proletariat der Vergangenheit angehören, ist vorbei durchgeführt anhand von Arbeitsbeispielen. Kommen zum Singen: Köche, Pädagogen, Bauarbeiter, Betreuer, Amazon-Packer, sogar Zugbegleiter.
Lieder mit Textzeilen, die in fesselnden Burlesken zum Nachdenken anregen sollen, wie zum Beispiel „Meine Ressourcen reichen nicht aus, um die Bedürfnisse der Mittelschicht zu befriedigen“ oder „Umverteilung ist der einzige Ausweg“ ( Set to die Melodie der beliebten Ballade „Eternal Flame“ von The Armreifen). Das Buch erwähnt auch die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill sowie den Aufstieg der Werke durch das Sprachmusical My Fair Lady. Ziel dieses Artikels ist es, die Lüge vom „Fortschritt durch Leistung“ aufzudecken, obwohl es in Wirklichkeit nur „Wohlstand durch Vererbung“ gibt.
Highlights
Die österreichische Schriftstellerin Stephanie Sagnagel spielt gekonnt die absurde Figur der „genetischen Schamtherapeutin“. In Anlehnung an einen „Anne Weir“-Talkshow-Gast bringt die Figur einer Streetworkerin aus einer Berliner Wohnsiedlung auch zum Ausdruck, dass sie es satt hat, dass ihre wohlhabende Familie in einer Parallelgesellschaft lebt, sich isoliert und Ratschläge verweigert.
Hintergrund
Auf dem HAU-Programm des Rösinger-Abends stand „Agitpop“ ohne das „r“. Die Nähe zum leninistischen Begriff „Agitprop“ (Agitation und Propaganda), der Indoktrination des Publikums in aktiven Klassenkampf und revolutionäres Bewusstsein, ist bewusst und ironischerweise gebrochen. Das Format des Abends orientierte sich an Erwin Piscators Proletariat-Rummel-Kommentar. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) stellte dies 1924 als Wahlkampf dar.
Schöpferin
Songwriterin und Autorin Christiane Rösinger (62) ist eine Ikone des deutschen Indie-Rocks. Sie ist bekannt für die Lassie Singers („Die Pärchenlüge“), die Band Britta („Something is Always“) und die Soloband („Berlin“). Die gebürtige Badenerin beschreibt ihre Herkunft als „katholisches Bauernmädchen“. Seit den 1980er Jahren lebt sie in Berlin-Kreuzberg. Am HAU Theater brachte sie ein wohnungspolitisches Musical (Cities Under the Influence) und ein feministisches Musical (Equal Planet) auf die Bühne.