Chinesischer Markt? Viele Leute finden es uninteressant und keine gute Idee. Doch Anfang der 1980er-Jahre trieb Volkswagen den Einstieg in China voran. Der damalige Verantwortliche: Carl H. Hahn, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG.
“Zum Glück für uns hat sich damals kaum jemand dafür interessiert”, sagt Hahn, 92, gegenüber der VW-Mitarbeiterzeitung Inside. Viele, auch die Politik, kritisierten die Entscheidung, doch die Ereignisse gaben ihm Recht: China entwickelte sich zum wichtigsten Einzelmarkt des Konzerns – während Hahn Volkswagen zu einem Weltkonzern machte. Der ehemalige Volkswagen-Chef starb am Samstag im Alter von 96 Jahren.
Wer erinnert sich nicht an den ersten Santana, ein kantiges Auto aus den 80ern, das einst als eine Art Premium-Passat konzipiert war? Das Konzept wurde nicht unbedingt in Europa populär, insbesondere in Deutschland, aber es begann 1983 in China populär zu werden. „Wir haben nur 5.000 Autos verkauft und hatten im ersten Jahr quasi über Nacht einen Marktanteil von 27 Prozent“, erinnert sich Hahn. Kritiker aus Wirtschaft und Politik wies der Ex-VW-Chef zurück: „Die halten mich alle für verrückt.“ Ein ehemaliger Chef eines deutschen Konzerns sagte vor Bundeskanzler Helmut Kohl, der „Hahn“ werfe Geld auf die KPD-Senke 100 Millionen Dollar.
Relevanz des chinesischen Marktes
Die heutige Kritik am VW-Engagement in China ist berechtigt – nicht zuletzt wegen der Fabriken in der uigurischen Region Xinjiang. An der wirtschaftlichen Bedeutung des Landes für den Block besteht jedoch kein Zweifel. Die Länder des Fernen Ostens sind die wichtigsten Märkte für Volkswagen. Anfang 2019 gab der damalige CEO Herbert Diess bekannt, dass China höchste Priorität habe. „Die Zukunft von Volkswagen wird vom chinesischen Markt abhängen“, sagte Diess damals.
Hierfür erhielt Diess Applaus von einem seiner Vorgänger, Karl Hahn. Obwohl Volkswagen durch den frühen Einstieg im Land gut aufgestellt sei, müsse diese Position verteidigt werden: „In Sachen Elektromobilität sind die Chinesen der Welt voraus“, betonte er. An seinem 95. Geburtstag gestand er, dass es im Nachhinein kaum nachvollziehbar sei, warum die Vorteile von Elektrofahrzeugen lange missverstanden wurden. Immer wieder wird deutschen Autoherstellern vorgeworfen, Elektrofahrzeuge zu vernachlässigen.
Hahn wurde 1926 in Chemnitz geboren und begann seine Karriere 1954 bei Volkswagen als Leiter der Exportförderung. Von 1959 bis 1964 leitete er Volkswagen of America. Als er 1965 nach Wolfsburg zurückkehrte, wurde er Mitglied der Konzernleitung und Vertriebsleiter. Nach Meinungsverschiedenheiten mit dem damaligen VW-Chef Rudolf Redding über die Verselbstständigung von Audi gab es eine Pause: Hahn verließ den Autokonzern 1973, um die damalige Continental-Gummi-Werke AG in Hannover zu übernehmen.
Wurde unter Hahn zum größten Automobilkonzern Europas
So überraschend er Wolfsburg verließ, kehrte er 1982 als Vorstandsvorsitzender zu Volkswagen zurück. Unter seiner Führung wurde Volkswagen zum größten Automobilkonzern Europas, und die Globalisierung begann: Nach dem Eintritt in China 1982 und der Übernahme von Seat 1986 nahm Volkswagen 1989 den Betrieb in der ehemaligen DDR und Osteuropa auf und übernahm das Unternehmen Czech Automobile 1991 Hersteller Skoda. 1992 übergab Hahn sein Amt an Ferdinand Piëch, den späteren „Gründer von Volkswagen“. Hahn war bis 1997 Mitglied des Aufsichtsrats von Volkswagen.
Daniela Cavallo, Vorsitzende des Volkswagen-Betriebsrats, bezeichnete Hahn als „außergewöhnliche Persönlichkeit“, der der Konzern dankbar sei. „Carl Hahn hat in seiner Amtszeit als CEO mit strategischem Weitblick, Chancenbewusstsein und unternehmerischem Mut die Weichen für den Erfolg gestellt, die unser Unternehmen bis heute prägen“, betont sie. Zu seinen Verdiensten gehörte auch ein früher Einsatz in Sachsen. Der Oberbürgermeister von Chemnitz, Sven Schulze, lobte Hahn als „großen Unternehmer und einen Mann, der seiner Heimatstadt stets verbunden bleibt“. Der SPD-Politiker schrieb, Hahn habe maßgeblich zur Positionierung des Autos beigetragen, so dass es nach 1990 neu positioniert werden könne. 1994 wurde Jahn für seine Verdienste um die Region zum Ehrenbürger der Stadt ernannt.
Auch nach seinem Ausscheiden aus dem VW-Konzern blieb Hahn, verheiratet und Vater von vier Kindern, als Schriftsteller und Redner beliebt. In Wolfsburg, das zu seiner Heimat geworden ist, sitzt Hahn im Vorstand des von ihm mitbegründeten Kunstmuseums. Dort hat er ein Büro, das seine vielen Termine koordiniert, die er auch als Rentner hat. In seinem Arbeitszimmer dokumentieren viele Fotos, nicht nur seiner Familie, sein bewegtes Leben: Ex-Prinz Charles, Steffi Graff, Boris Jelzin – er hat sie alle gesehen.