Berliner Mauer: 28 Jahre zwischen Freiheit und Unvermeidlichkeit
Für jeden in Deutschland gibt es einen besonderen Platz in der Seele für die Berliner Mauer – ein Symbol der Teilung.
Berliner Mauer: Unheimliches Symbol
Der ukrainische Kinderbuchautor Vsevolod Nestayko hat eine Geschichte mit dem Titel “Im Land der Sonnenhasen”. Dort dient die Mauer als Schutzmittel für die niedlichen Hasen vor der Welt des Bösen. Die Geschichte wurde 1959 veröffentlicht.
Die Idee schwebte sozusagen in der Luft. Aber im Rückblick verstehen wir: Die Berliner Mauer markierte durch ihre bloße Existenz letztlich das Scheitern jenes Projekts, das der DDR, der UdSSR und anderen Ländern des “Ostblocks” auferlegt wurde.
Das Projekt, das lange Zeit einfache Menschen und Intellektuelle verführte, verlor seinen Reiz. Es wurde zum Instrument der Zwangsanwendung, zum Gegenpol der Freiheit. Und die klare Formulierung dieser Idee seines Gegenteils, der freien Welt, von der Generation John F. Kennedys, entwickelte sich völlig logisch. In Berlin erhielt sie auch eine sehr konkrete visuelle Ausdrucksform.
“Länder des sozialistischen Lagers” – diese Bezeichnung war gebräuchlich und schien den Ideologen dieses Lagers keineswegs beleidigend. Obwohl es scheinbar eine semantische Dissonanz hatte.
“Der Archipel Gulag” – so lautet der Titel des berühmten Werks von Solzhenitsyn, und für diejenigen, die es in diesem Lager gelesen haben, genauso wie für diejenigen, die davon nur gehört haben, wurde es erweiternd wahrgenommen. Es charakterisierte diesen riesigen Raum, der wuchs und sich ausbreitete, und in Berlin schwoll er durch die Mauer an.
“Und in welches Paradies werden sie uns dann treiben?” – stellte Alexander Vertinsky in einem seiner Lieder eine Frage mit offensichtlicher Antwort. Die Behörden versuchten natürlich, die Errichtung der Mauer als ein Mittel zur Verteidigung zu rechtfertigen. Aber wahrscheinlich glaubten sie selbst nicht daran.
Schumann und die Magie der Fotos
Viele Versuche, über die Mauer zu fliehen, endeten tragisch. Es gab auch viele erfolgreiche Fluchtversuche. Einer der ersten und vielleicht der bekannteste war die Flucht des jungen DDR-Grenzsoldaten und Unteroffiziers Conrad Schumann. Fast jeder kennt ihn.
Am 15. August 1961 gab es noch keine Mauer. Es gab eine temporäre Barriere aus Stacheldraht von etwa 80 zm Höhe. Und Schumann sprang einfach darüber, warf während des Laufs sein Gewehr weg, an dem Grenzabschnitt, wo er um 16:00 Uhr Dienst hatte.
Schumanns Flucht erlangte maximale Bekanntheit, weil es gelang, ihn aus nächster Nähe zu fotografieren. Ein außerordentliches Glück begleitete den Fotojournalisten aus Hamburg, Peter Leibing. Übrigens war er im gleichen Alter wie Schumann. Peter drückte den Auslöser seiner Exakta-Kamera genau in dem zehntel Bruchteil einer Sekunde, als Schumann direkt über dem Stacheldraht war: nicht mehr im Osten, aber noch nicht im Westen.
Der Fotojournalist erwischte den Moment, in dem der Wille zur Freiheit konzentriert war, gereift und plötzlich in einer Handlung aufgelöst wurde.
Die Ironie der Geschichte. “Der Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“, drückte Friedrich Engels einst aus, indem er die Zukunft vorhersagte, die aus seiner “Lehre” mit Karl Marx resultierte. Die “Lehre” im 20. Jahrhundert wurde fast realisiert – mit traurigen Konsequenzen, und das ließ viele nach der Freiheit sehnen.
Dieses Foto ist anscheinend allen bekannt. An der Bernauer Straße, wo sich eine Gedenkstätte für die Mauer befindet, ist es an mehreren Stellen und mit verschiedenen Techniken dargestellt.
Die Skulptur ‘Mauerspringer’ (man könnte sagen, ein Denkmal für Schumann, der im Sprung erstarrt ist), die denselben Moment in Metall reproduziert, dort zu finden, ist viel schwieriger. Ich hätte es wahrscheinlich nicht gefunden. Aber auf meine verwirrte Frage hin hielt eine energische Dame, die dort Führungen gibt, einen Moment inne und deutete dann auf eines der Häuser in der parallel verlaufenden Brunnenstraße, nachdem sie sich an etwas erinnert hatte.
Die Skulptur ist an der Fassade eines Gebäudes angebracht. Ihre Autoren sind Florian und Michael Brauer sowie Edward Anders.
Sternenmoment der Schauspielerin Nana Osten
Das Foto von Schumann im Sprung wurde weltweit verbreitet, außerhalb des sozialistischen Lagers. Es wurde zu einer Medienikone und einer Visitenkarte für die freie Presse, unabhängig von der Journalismusbehörde.
Es ist übrigens nicht das Einzige zu unserem Thema. In diesen Tagen erinnerte man sich an ein weiteres Foto, auf dem eine auf die Knie gefallene junge Frau abgebildet ist. Ihr war es gerade gelungen, die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin zu überqueren.
Noch eine Sekunde, und wahrscheinlich wären die Grenztruppen der DDR auf sie geschossen. Aber sie hat es geschafft. Soldaten auf beiden Seiten halten sich gegenseitig mit Maschinenpistolen im Zaum. Zwischen ihnen ist nur eine gezeichnete Linie. Dann wird anstelle dieser Linie der Brunnen-Spiral, dann der Stacheldraht und schließlich die vier Meter hohe Betonmauer stehen.
Dies ist der Triumph der Freiheit und des Lebens über die Unfreiheit und den Tod. Doch kenntnisreiche Menschen erinnerten sofort daran, dass wir es hier nicht mit einem Dokumentarfoto zu tun haben. Es handelt sich um einen äußerst geglückten Schnappschuss aus dem Spielfilm des italienischen kommunistischen Regisseurs Piero Vivarelli: Oggi a Berlino (East Zone, West Zone). Das Mädchen auf dem Foto ist die deutsche Tänzerin und Schauspielerin Nana Osten, damals 22 Jahre alt.
Der Film aus dem Jahr 1962 geriet in Vergessenheit und wird in der Filmografie des Regisseurs kaum erwähnt, und Vivarelli selbst drehte später politische Filme oder Soft-Pornos. Auch über die großartige Blondine Nana Osten gibt es im Internet kaum etwas. “Ob sie derzeit lebt und wo sie lebt, ist völlig unbekannt“, stellt die allwissende Wikipedia melancholisch fest. Und das Bild ist geblieben.
Und das zeigt, dass Kunst manchmal nach eigenen Regeln arbeitet. Es stellte sich heraus, dass der Film damals für dieses Bild gedreht wurde. Und es drückte etwas Wichtiges und Notwendiges aus.
Schumann und Leibing: Ein unauffälliges Leben
Auch der Fotograf der Schumann-Aufnahme, Leibing, machte sich danach mit nichts allzu Auffälligem bemerkbar. Er war Bildredakteur beim Hamburger Abendblatt. “Peter Leibing kam 1970 zum Abendblatt. Anstatt selbst zu fotografieren, schickte er nun Fotografen an die Brennpunkte der Stadt und sammelte Bilder aus der ganzen Welt”.
Generell ist Freiheit ein Sprung ohne Garantien. Man weiß nicht, wie und wodurch sie sich auswirken wird. So ist ihre Natur.
Dasselbe gilt für Schumann. Er konnte sich nie erfolgreich finden. Es wird sogar berichtet, dass er manchmal Journalisten die Schuld gab, die um ihn herum Aufsehen erregten und dadurch sein Leben komplizierter machten. Die allmächtige Stasi erschreckte ihn. Schumann ließ sich im Südwesten Bayerns nieder, arbeitete als Maschinenbediener im Audi-Werk. Im Jahr 1998 erhängte er sich in seinem Garten. Warum? Unbekannt. Es wird berichtet, dass er an einer psychischen Störung litt.
Aber ein anderer bekannter Flüchtling nutzte seine Freiheit erfolgreich und bereute nie seine Flucht aus dem sozialistischen ‘Paradies’ der DDR.
Lokomotivführer Harry Deterling und der letzte Zug in die Freiheit
Über Harry Deterling scheint man weniger zu wissen, da kein Journalist sein beeindruckendes Rammen festgehalten hat.
Es gibt Fotos von ihm mit seiner Familie, auf denen er als ein sympathischer, offensichtlich intelligenter junger Deutscher zu sehen ist. Und das war er auch.
Vier Monate nach dem Erscheinen der Berliner Mauer, am 5. Dezember 1961, beschloss der 27-jährige Lokomotivführer des Personenzuges, Deterling, auf dem ‘letzten Zug in die Freiheit’ in den Westteil von Berlin durchzubrechen, wie er ihn in einem Brief an seine Mitflüchtlinge nannte: ‘Heute um 19:33 Uhr fährt der letzte Zug in die Freiheit ab.’
Er floh nicht allein, sondern mit einer großen Gruppe von Freunden und Verwandten, einschließlich seiner Frau Ingrid und seinen vier Kindern, sowie seinem 18-jährigen Kollegen und Heizer Hartmut Lichy.
Arbeiter aus der Arbeiterklasse, eine Lokführerbruderschaft, doch sie lebten nicht im ‘ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat’, wie es die Ideologen in der DDR nannten.
Deterling erfuhr, dass in naher Zukunft die für ihn zugänglichen Eisenbahnverbindungen zwischen der DDR und der BRD abgebaut werden sollten. Und er traf eine Entscheidung. Die Dampflok wurde zum Rammbock. Nachdem er die Bremssysteme deaktiviert und die Barrieren mit hoher Geschwindigkeit durchbrochen hatte, kam Harry mit seiner acht Waggons umfassenden Gruppe sicher von Oranienburg nach Spandau. Im Zentrum der Notunterkunft Marienfelde feierte Harry am nächsten Tag seinen 28. Geburtstag.
Die Deterlings wurden mit einem Flugzeug in die BRD gebracht und ihnen wurde angeboten, ihren Weg in die USA fortzusetzen. Aber Harry und Ingrid lehnten ab. Diese Entscheidung hatte Konsequenzen: Die Familie erhielt jahrelang bedrohliche Briefe, hauptsächlich von fiktiven Absendern aus der BRD. Der letzte solche Brief kam erst im Jahr 1974: ‘Ihr werdet Stalins Füße küssen…’
Bis 1989 lebten die Deterlings unter dem Schutz der Polizei am Bodensee. Harry arbeitete als Lokomotivführer bei der Deutschen Bundesbahn. Im Mai 1990 besuchte er Ostdeutschland. Harry Deterling verstarb 2010.
Basierend auf dieser Flucht wurde bald der Film Durchbruch Lok 234 gedreht. Es wird gesagt, dass nicht alles dokumentarisch genau ist.
Die Berliner Mauer: Sie ist gefallen
Nach Deterlings Flucht demontierten die DDR-Behörden fast alle Schienen auf den Eisenbahnstrecken, die zuvor die beiden Teile Berlins miteinander verbunden hatten, und machten sie zu Sackgassen.
Fast 250 Menschen kamen bei dem Versuch ums Leben, über die Berliner Mauer zu gelangen, von der DDR in den Westen. Hunderttausende DDR-Bürger wurden allein dafür verhaftet, dass sie versuchten, aus dem Land zu fliehen – selbst wenn sie noch nichts unternommen hatten. Anfang 1968 wurde der illegale Grenzübertritt in der DDR zu einem Verbrechen erklärt. Man muss darüber nachdenken: ein Verbrechen!
Die Diktatur war empört und glaubte, sie sei unvergänglich. Aber die Fluchtversuche aus ihrer Umklammerung setzten sich fort bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989.
Und dann wurde die geteilte Welt eins. Und im Grunde genommen bleibt sie es auch, obwohl die letzten Jahre das Leben trauriger erscheinen lassen. Aber wir wissen: Mauern sind nicht ewig.