Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik hat bereits im Dezember Alarm geschlagen. Mehr als 500 Kinder und Jugendliche sollen im Jahr 2022 gewalttätig gewesen sein – rund 200 mehr als vor einem Jahr. Die Polizei hatte auch Bedenken wegen Respektlosigkeit in bestimmten Teilen der Stadt, sagte Slovik damals. Das alles geschah in der Silvesternacht in Berlin und im Vorfeld von Protesten gegen Ausschreitungen, Gewalt und Angriffe auf Polizei und Feuerwehr.
Ein Gipfel zu Jugendgewalt wird heute in Berlin Experten und Politiker zusammenbringen und Zeichen setzen, aber schnelle Antworten wird es nicht geben. “Klar ist, dass ein Gipfel nicht alles lösen wird, aber das war nie meine Absicht”, sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey im Vorfeld.
Unruhen gibt es nicht nur in Berlin
insbesondere in der Hauptstadt, wo es von Zeit zu Zeit zu gewalttätigen Zwischenfällen kommt, die schon seit Jahrzehnten andauern. Als am 1. Mai 1987 ein Bolle-Supermarkt in Kreuzberg bei Ausschreitungen in Brand geriet, sprachen Lokalpolitiker schon damals von einer „neuen Qualität“ und einem gesetzlosen Raum. Die Gewalt am 1. Mai wurde in den letzten Jahren eingedämmt, aber jetzt kommt es bei anderen Gelegenheiten zu Ausschreitungen.
Das passiert nicht nur in Berlin. Auch in Städten wie Bochum und Frankfurt an der Oder kam es in diesem Jahr zu Silvesterkrawallen. Auch im sächsischen Borna hat eine Gruppe auf dem Marktplatz “pyrotechnische Produkte in Richtung der Beamten abgefeuert”, so die Polizei. In Dresden wurden 2021 185 Polizisten verletzt, als Hooligans nach einem Fußballspiel Feuerwerkskörper auf sie abfeuerten.
Schwerkriminalität nimmt ab
Die Täter sind oft jung und ihr Verhalten kann manchmal furchtbar aggressiv sein. Aber ist das wirklich ein Trend? „Wenn wir uns die Entwicklung der Jugendgewalt in den letzten 20 Jahren ansehen, sehen wir, dass die Schwerkriminalität insgesamt zurückgegangen ist“, sagt Aladin El-Mafaalani, Soziologe am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Osnabrück.
So ist laut Polizeistatistik die Zahl der Tatverdächtigen in Fällen gefährlicher und schwerer Körperverletzung je 100.000 Einwohner in der Altersgruppe der 8- bis 21-Jährigen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Lag diese Zahl im Jahr 2010 noch bei durchschnittlich 518, kommen 2020 in dieser Altersgruppe noch rund 302 Tatverdächtige auf 100.000 Einwohner.
Die neueste Analyse von Vorfällen von Jugendgewalt durch das Deutsche Jugendinstitut in München August 2022 bestätigt diesen Trend: Ob es sich um eine einfache Körperverletzung oder um ein schweres Gewaltdelikt wie gefährliche oder schwere Körperverletzung handelt. Raub, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung, Mord oder Totschlag.
Das Bild irritiert
Die vergangenen Jahre waren nun Corona-Jahre, die auch die Kriminalität beeinflusst haben. Dennoch sagt Sabrina Hoops, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Jugendinstitut: „Man merkt schnell, dass junge Menschen immer widerspenstiger werden. Betrachtet man Gewalt im Jugendalter jedoch objektiv, ist das Gegenteil der Fall.“
Das heißt nicht, dass es keine gegenläufigen Trends und Spitzen gibt – die Situation ist vielfältig und unübersichtlich.In Halle mit 240.000 Einwohnern beispielsweise haben sogenannte Jugendbanden ein Jahr lang für Aufsehen gesorgt, bestätigte Polizeisprecher Michael Ripke .
Eine unabhängige Ermittlungsgruppe “EG Cornern” hat insgesamt 368 Fälle im Jahr 2022, darunter Überfälle, Raubüberfälle, Bedrohungen, Diebstahl, Einschüchterung und Erniedrigung. Bei den Raubüberfällen ging es um Bargeld, Smartphones, Kopfhörer, Jacken oder teure Markenschuhe. Laut Ripke wurden 139 Tatverdächtige registriert, meist im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, meist männlich, 90 von ihnen hatten die deutsche Staatsangehörigkeit, der Rest hatte verschiedene Nationalitäten. Die Opfer der Tat waren somit auch überwiegend männliche 14 Jahre alt bis 17.
Berichte über „zunehmende Respektlosigkeit“
Eine kleine Zahl junger Schwerverbrecher kann große Probleme haben, sagt Soziologin El-Mafaalani. Und: „Polizei, Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Mitarbeiter des Jobcenters berichten von wachsender Respektlosigkeit. “Es ist nicht nur für junge Leute, es ist nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund. Es ist nicht leicht zu sagen, warum.
Vielleicht ist es auch ein Ausdruck dessen, was Politikwissenschaftler und Soziologen als Spaltung oder fehlende Gemeinsamkeit bezeichnen. Egal Es sei sicher, dass verschiedene Gruppen ihre Respektlosigkeit auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck gebracht hätten, sagte El-Mafaalani.
Teilnahme an einer Demonstration von „Querdenkern“ im August 2020 Der Versuch von Teilnehmern, das Parlamentsgebäude zu stürmen, ist einer Beispiel, und die Gewalt gegen Einsatzkräfte letztes Jahr an Silvester ist ein anderes: “Junge Menschen, die hier arbeiten, haben nicht den Eindruck, dass sie von der staatlichen Ordnung profitieren. „Eine starke Zurückhaltung ist zu beobachten, „vielleicht gibt es noch das Gefühl, dass man nichts zu verlieren hat.“
„Mangelhafte Positionierung der Seuchenpräventionsinfrastruktur“ vielerorts
Nach den Auswirkungen der Silvester-Krawalle Was tun?„Für Berlin habe ich den Eindruck, dass die Menschen dort besonders benachteiligt sind, was die präventive Infrastruktur betrifft, etwa in Schulen und Sozialarbeit“, sagt El-Mafaalani. „In vielen westdeutschen Großstädten gibt es einen höheren Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund, aber insgesamt sieht vieles besser aus.
Bürgermeisterin Giffy wird das nicht gerne hören, aber sie weiß auch, dass der Anti-Youth Violence Summit „kein Strohfeuer, sondern der Beginn eines Prozesses ist.“