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Anglerhut am Wendepunkt: Ein Lexikonjahr von A bis Z

Oleh Psjuk
Oleh Psjuk vom Kalush Orchestra aus der Ukraine mit Anglehut. Im Jahr 2022 waren Fischerhüte, auch Bucket Hat (Eimer-Hut) oder Anglerhut genannt, der letzte Schrei.

2022 war das Jahr von Affenpocken bis Zeitenwende (sprich: Mpox und Russlands Angriffskrieg). Themen und Trends des Jahres – als Lebensgefühl-Lexikon von A bis Z:

A

wie Affenpocken: Nach einer Hochphase im Sommer mit teils Hunderten bestätigten gemeldeten Erkrankungen pro Woche hat sich die Situation um die Virusinfektion Ende 2022 in Deutschland deutlich beruhigt.

wie Anglerhut: Als ihn 2018 der «Hutbürger» trug («Sie haben mich ins Gesicht gefilmt»), gab es noch Spott. 2022 war der Bucket Hat (Eimerhut) total in – wie etwa bei Eurovision-Song-Contest-Sieger Oleh Psjuk aus der Ukraine.

B

wie Bush, Kate: Die Netflix-Serie «Stranger Things» benutzt das Lied «Running Up That Hill» und bringt den Song von Kate Bush nach 37 Jahren an die Spitze der Charts.

wie Bisexualität: Nicht zuletzt die Netflix-Serie «Heartstopper» macht das B in LGBTIQ+ in diesem Jahr mal zu einem größeren Thema.

C

wie die Computerspielfigur HuggyWuggy: Das Horror-Plüschmonster mit einem lachenden Maul voller großer, spitzer Zähne stammt aus dem Videospiel «Poppy Playtime» und ist bei Kindern gruselig beliebt.

wie Carter, Aaron: Es gibt wieder viele bewegende Trauerfälle, doch der frühe Tod von Ex-Kinderstars erscheint stets besonders tragisch.

D

wie Duschtipps: Energiesparempfehlungen von Grünen wie Winfried Kretschmann («Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung») oder Robert Habeck (kürzer duschen!) nerven 2022 manche.

wie «Du darfst nicht alles glauben, was du denkst»: Comedian Kurt Krömer landet mit diesem Buch über seine Depressionen einen Bestseller.

E

wie eFoil: Vom Ufer sieht es so aus, als würden die Leute übers Wasser fliegen. Elektro-Hydrofoils (eFoils) sind elektrisch angetriebene Unterwasserflügelsurfbretter. Prognose: heben 2023 weiter ab.

wie endgültiges Aus: Das Nullerjahre-Online-Netzwerk «studiVZ» wird 2022 endgültig abgeschaltet und die Telekom deaktiviert am 21. November an den noch rund 12 000 verbliebenen öffentlichen Fernsprechern die Münzzahlung. 2023 und 2024 verschwinden die letzten Telefonsäulen beziehungsweise -häuschen komplett.

F

wie Fußballmüdigkeit: Selten ist der Profi-Fußball mit der Fifa und ihrer sogenannten Wüsten-WM in Katar so umstritten wie 2022. Der Schaden könnte noch lange bleiben.

wie Fynn Kliemann: Der Heimwerk-Influencer wird 2022 von Jan Böhmermann und seinem «ZDF Magazin Royale» entzaubert.

G

wie Gender pronouns: In sozialen Medien oder auch E-Mail-Signaturen ist es Trend, Personalpronomen anzugeben («she/her», «sie/ihr» und Ähnliches). Die Bewegung stammt aus den USA. Gender bezeichnet das soziale Geschlecht – im Unterschied zum biologischen Geschlecht.

wie Gestreamt: Der Serienhit «Wednesday» von Tim Burton mit Jenna Ortega als gleichnamiger Tochter der Addams Family gehört innerhalb weniger Wochen zu den meistgestreamten Netflix-Serien überhaupt.

H

wie Hafermilch: Kuhmilch wird aus diversen Gründen bei vielen unbeliebter. Als Endgegner empfinden viele Feinde dieser Entwicklung vor allem die Hafermilch (das sei «Brühe aus Körnern und Wasser»). Fazit: Kulturkampf, der vielen viel Spaß macht und 2023 weitergeht.

wie Herrenhandtasche: von den Elevatorboys bis Harry Styles und Teens und Twens auf den Straßen – viele Jungs tragen nun eine murse (von male purse), also Herrenhandtasche.

I

wie Inflation: Hohe Energiepreise, Geldängste und Debatten wie etwa um 10-Euro-Döner bestimmen viele Gespräche. Die Frage aller Fragen lautet wohl auch 2023: Gehört Inflation zu 20er Jahren einfach dazu?

wie Iran: Die mutigen, landesweiten Proteste gegen die autoritäre Regierung im Iran lösen weltweit Solidaritätsbekundungen aus. Auslöser ist der Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam in Teheran. Die berüchtigte Moralpolizei hat die 22 Jahre alte Studentin drei Tage zuvor wegen eines schlecht sitzenden Kopftuchs mitgenommen.

J

wie Joachim Trier: Seine norwegische Filmkomödie «Der schlimmste Mensch der Welt» mit der fast 30-Jährigen Julie (Renate Reinsve), die nicht recht weiß, was sie im Leben will, bringt ein gewisses melancholisches Lebensgefühl auf den Punkt.

wie Jogginghose: Sie auf der Straße zu tragen ist – ebenso wie Shorts im Sommer – für viele kein Tabu mehr. Corona hat das Fashion- und Gemütlichkeitsverständnis ziemlich umgekrempelt.

K

wie Klimaproteste: Kaum etwas ist in diesem Jahr so umstritten wie die Demos etwa von den Aktivisten der Letzten Generation auf Straßen oder die Klebe- und Kartoffelbrei-Aktionen in Museen.

wie Kulturelle Aneignung: Übernahme von Ausdrucksformen aus einer anderen Kultur, meist der einer Minderheit. Rasch stehen sich bei sowas Kontrahenten unversöhnlich gegenüber. Das passierte mit Dreadlocks, im Sommer mit «Winnetou» und passiert wohl 2023 wieder.

L

wie Layla: Heiß diskutierter, öfter (vergeblich) auf Volksfesten verbotener «Hit des Jahres». Der Partyschlager «Layla» von DJ Robin und Schürze wurde in der Mallorca-Szene richtig groß.

wie Lillet: genauer gesagt «Wildberry Lillet». Der Aperitif erobert als Songtitel mit Sängerin Nina Chuba die Charts und ist ein Trendgetränk 2022. Der Sommerdrink wird wohl auch 2023 cool bleiben.

M

wie Modesünden en vogue: Neben Jogginghosen auf der Straße sind auch Birkenstocks und Schlappen (Slides) für viele modisch okay geworden.

wie Musk, Elon: Der Milliardär ist oft Thema und erregt 2022 vor allem mit seiner Twitter-Übernahme viel Aufsehen.

N

wie 9-Euro-Ticket: Flatrate-Reisen mit der Bahn ist im Sommer drei Monate lang ein großes Vergnügen (oder auch nicht – Bahnbeschimpfen ist bekanntlich ein populäres Hobby in Deutschland). 2023 soll die nicht mehr ganz so billige und simple Fortsetzung kommen.

wie Nonbinarität: Wird ein breiteres Thema, nicht zuletzt wegen des Deutschen Buchpreises für Kim de l’Horizon.

O

wie Oben ohne: «Oben-ohne-Baden für alle» in Schwimmbädern ist im Sommer ein Riesenthema, aber dann doch nur ein kleines Phänomen. Nur wenige Frauen lassen das Bikini-Oberteil tatsächlich daheim.

wie Oscar-Ohrfeige: Der schockierende Wutausbruch von Will Smith, der dem Komiker Chris Rock auf der Bühne ins Gesicht schlägt, nachdem dieser einen Witz über Smiths Ehefrau Jada Pinkett gemacht hat, bleibt in Erinnerung.

P

wie Perlenkette: Geschlechterrollen verschwimmen und deshalb glitzern nun auch Perlenkettchen an männlichen Hälsen. Why not? Kommt 2023 auch in hinteren Winkeln der Republik an.

wie Publikumsschwund: Zumindest zwischendurch wird geradezu kulturpessimistisch bei Kinos und Theatern über ein Wegbleiben der Zuschauer in der Nach-Corona-Ära heiß debattiert.

Q

wie Queen-Tod: Millionen Menschen auf der Welt trauern um die britische Königin Elizabeth II. (1926-2022). Die Queen schien immer dagewesen zu sein und ist nicht zuletzt auch wegen Filmen oder der Netflix-Serie «The Crown» ein Pop-Phänomen.

wie QuietQuitting: auch working your wage genannt (dem Lohn entsprechend arbeiten). Es geht vor allem jüngeren Leuten darum, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen und sich von der Idee zu verabschieden, im Job ständig alle Anforderungen ÜBERzuerfüllen.

R

wie Religion: Nur noch eine Minderheit der deutschen Bevölkerung (weniger als 50 Prozent) ist kirchlich gebunden. Vor drei Jahrzehnten waren noch etwa drei Viertel in einer der großen Kirchen Mitglied.

wie Rechtsstreit: Der Verleumdungsprozess um die Filmstars und Ex-Eheleute Johnny Depp und Amber Heard ist krass aufsehenerregend.

S

wie Sisi-Hype: Nach der RTL-Serie «Sisi» gibt es die international erfolgreiche deutsche Netflix-Serie «Die Kaiserin» über Elisabeth von Österreich. 2023 soll «Sisi & Ich» mit Sandra Hüller ins Kino kommen.

wie smash: Jung tun geht immer mit dem Jugendwort, zu dem 2022 «Smash» gekürt wird, das für ein Objekt der Begierde oder auch ein Stelldichein stehen kann. Als Verb «smashen» bedeutet es so viel wie «jemanden abschleppen» oder auch «mit jemandem Sex haben».

T

wie Trauung auf Sylt: Die Promihochzeit von Journalistin Franca Lehfeldt und Bundesfinanzminister Christian Lindner – beide ohne Konfession – in einer evangelischen Kirche in Keitum löst Wirbel aus.

wie «Triangle of Sadness»: Mit der Satire und Tragikomödie gewinnt der schwedische Regisseur Ruben Östlund in Cannes die Goldene Palme. Der kapitalismuskritische Film (unter anderem mit Sunnyi Melles und Iris Berben) bringt einen gewissen Zeitgeist auf den Punkt.

U

wie Ukraine: Viele waren zu naiv, um einen Angriffskrieg wie den von Russland gegen die Ukraine für möglich zu halten. Der 24. Februar geht als Schreckensdatum in die Geschichte ein. «Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht» (Außenministerin Annalena Baerbock).

wie «Unholy»: Welthit für die deutsche Sängerin Kim Petras zusammen mit dem britischen nonbinären Popstar Sam Smith.

V

wie Vetternwirtschaft: Unter dem Schlagwort «Nepo Babies» werden Leute kritisiert, die von Nepotismus profitiert haben (sollen). Dabei liegt das Augenmerk etwa auf Promi-Kindern, die nun selbst Karriere im Model-, Musik- oder Schauspielgeschäft machen.

wie Voyage: Abba geben in London unter diesem Titel wieder Konzerte als Avatare, pardon Abbatare. Fans und Technik-Freaks sind begeistert und buchen Tickets auch 2023 in der eigens errichteten Konzerthalle.

W

wie Wolodymyr Selenskyj: Der ukrainische Präsident wird zur Widerstandsikone im Krieg und hat nach eigenen Angaben im ZDF «circa 20» der grünen T-Shirts, in denen er meistens auftritt.

wie Wordle: Das Spiel von Software-Entwickler Josh Wardle kommt schon im Oktober 2021 als Web-Anwendung auf, erobert Anfang 2022 das Netz im Sturm. Es gibt viele Varianten, auch deutsche Versionen.

X

wie Xatar: Zu den aufsehenerregenden Filmen des Jahres gehört «Rheingold» von Fatih Akin über Rap-Star Xatar – Hauptdarsteller ist Emilio Sakraya, den es 2023 und darüber hinaus zu beobachten gilt.

wie XXX-Szenen: Bei intimen Szenen für Filme und Serien unterstützen jetzt öfter sogenannte Intimacy Coaches (oder Coordinators) die Produktionen. Es geht um mitreißende Bilder, ohne die emotionalen, physischen und persönlichen Grenzen der Darstellenden zu verletzen.

Y

wie Ye: Der Rapper Kanye West – Ex von Kim Kardashian – nennt sich jetzt so und legt 2022 mit rassistischen und antisemitischen Äußerungen wohl den Absturz des Jahres hin.

wie Yuzu: Asiatische und vor allem auch japanische Küche mit Trendfood wie Sushi, Ramen und Katsu bleibt angesagt. In vielen Supermärkten taucht 2022 die sogenannte japanische Zitrone auf. Die Yuzu-Frucht gilt als Mischung aus Zitrone und Mandarine.

Z

wie «Zukunft Pink»: Nach 14 Jahren meldet sich Peter Fox mit neuem Soloprojekt zurück. In düsterer Zeit wird es ein positiver Hit: «Alle malen schwarz/Ich seh die Zukunft pink/Alles wird gut mein Kind.»

wie Zeitenwende: zum «Wort des Jahres» gekürter Begriff. Mit dem Satz «Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents» beginnt Bundeskanzler Olaf Scholz eine Regierungserklärung zum russischen Angriff auf die Ukraine.

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