Das Drei-Sterne-Hotel «Les Flocons» hat der Deutsche Skiverband komplett für sich gebucht. Am Fuße der Skilifte und mit Blick auf den Mont Blanc tanken die Skirennfahrer im urigen Wintersportörtchen Courchevel Kraft für die WM-Wettbewerbe.
«Für die Stimmung ist das gut. Da fühlt man sich gleich heimischer», sagt der Speed-Spezialist Andreas Sander. Der 33 Jahre alte WM-Zweite von 2021 sitzt in einer gemütlichen Holzstube, als er über seine Ziele spricht. Vor ihm weinrote Stoffsessel für die Gäste. In den riesigen Fenstern spiegelt sich das französische Alpenpanorama.
An seinen persönlichen Beitrag zum deutschen WM-Wahnsinn vor zwei Jahren erinnert sich Sander gerne zurück. Es war der 14. Februar 2021, als der Hochgeschwindigkeitsfahrer im Sonnenschein der Dolomiten Sensations-Silber in die Höhe reckte und das schwarz-rot-goldene Winter-Märchen von Cortina d’Ampezzo um ein Abfahrtskapitel erweiterte. «Gute Fahrten schaue ich mir gerne noch mal an. Weil ich das Gefühl zurückholen kann», sagt Sander vor der Königsdisziplin an diesem Sonntag (11.00 Uhr/ZDF und Eurosport).
Schneller Fall nach WM-Aufstieg
Um das Gefühl eines Podestplatzes zu spüren, muss der Deutsche weit in seinen Erinnerungen kramen. Denn dem kometenhaften WM-Aufstieg folgte ein fast ebenso schneller Fall. Eine Fahrt unter die besten Drei sucht der 33-Jährige nach 178 Weltcup-Rennen in seiner Bilanz immer noch vergeblich. Selbst eine Top-Ten-Platzierung ist selten.
Zum Auftakt seiner Titelwettkämpfe in Frankreich fuhr Sander am Donnerstag immerhin auf einen soliden neunten Rang im Super-G. Der deutsche Alpinchef Wolfgang Maier nannte seinen Schützling darauf den einzigen «wirklich konkurrenzfähigen Mann» im Speed-Team. Doch kein Mensch fragt am Ende nach Platz neun. Es geht um Gold, Silber und Bronze.
Was lief falsch nach der WM in Cortina? «Andi hat probiert, alles zu perfektionieren, damit er noch besser wird», erklärt Maier. Die Lockerheit sei Sander abhandengekommen. «Man reist dann mit 37 Ernährungsteilen an, braucht noch einen Mentaltrainer und das noch und das noch», sagt Maier. Sander habe sich schlichtweg verzettelt. «Irgendwann ist der Fokus vom Sport weg. Weil das Außenrum, wo man glaubt, das hilft mir weiter, so viel Raum einnimmt.»
Sander spürt den «Killer-Instinkt»
An was fehlt’s noch? An der Körpersprache? An taktischen Dingen? Oder sind es Materialfehler, wie der ehemalige Skirennfahrer Felix Neureuther zuletzt vermutete? «Uns fehlen ab und zu ein bisschen die Killer. Du brauchst in dem Sport diejenigen, die den Charakter haben, dieses Risiko zu verdrängen und nur fokussiert sind auf das Ergebnis», sagt Maier. Der 62-Jährige spricht zwar nicht über einzelne Athleten, auf Sander scheint die Beschreibung trotzdem recht gut zu passen.
Zumindest auf den ersten Blick. Denn Sander spürt in sich durchaus diesen Willen, dieses Hartnäckige. «Bei mir wird das nie so ausschauen wie bei dem einen oder anderen spektakulären Fahrer. Aber ich spüre Nervosität und diesen Killer-Instinkt», sagt der Routinier.
Um das Buch der deutschen Winter-Märchen fortzuschreiben, braucht der verkopfte Sander neben dem absoluten Wettkampfgeist auch die nötige innere Ruhe. Er hat beides – das ist seit Cortina klar. Vielleicht bringt die heimelige Hotel-Atmosphäre diesen explosiven Mix in Frankreich wieder zum Vorschein.