Privat hat sich der 75-jährige Iggy Pop schon lange entspannt. Selbst der „Godfather of Punk“ wirkte angesichts früherer Zerstörungsorgien bescheiden. Auch musikalisch schlägt er auf dem Album „Free“, das ein Hybrid aus Ambient und Jazz ist, neuerdings deutlich sanftere Töne an. Aber das ist jetzt alles. Als wolle er alles noch einmal zeigen, war Iggy Pop in „Every Loser“ wieder der wilde, wütende Typ.
„Ich bin verrückt, du gottverdammter Bastard“, singt er – immer noch sanft übersetzend – zu einem Refrain des erhebenden Garagenrockers „Frenzy“, der wie ein großes Volk klingt, das nach der Katharsis dringend braucht Epidemie. „Ich habe es satt“, schimpfte der ehemalige Stooges-Frontmann ins Mikrofon. Es ist wirklich witzig, auch wenn – oder gerade weil – der 75-Jährige in seinen späteren Jahren nicht mehr so bedrohlich wirkt wie seine Zeitgenossen Alice Cooper oder Ozzy Osbourne.
So Crazy So Far – Ein bisschen entspannter bei einem fesselnden Album-Opener, aber immer noch schick. Entspannte Basslines und markante Keyboard-Riffs verleihen «Strung Out Johnny» einen starken New-Wave-Punch, bevor der rifflastige Punk-Refrain beginnt. Inhaltlich geht es darum, in eine Drogenabhängigkeit zu geraten. Das weiß der tadellose Bariton-Sänger, der nach eigenen Angaben seit über 20 Jahren clean ist, nur zu gut.
„New Atlantis“ lässt sich wohl als Ballade liefern. Es ist eine Liebeserklärung an Iggy Pops Wahlheimat Miami, die er im Song als „die schöne Hure der Stadt“ beschreibt. „Aber jetzt sinkt sie“, singt er und spielt damit auf den steigenden Meeresspiegel an, der die Metropole Florida bedroht.
Unterhaltsam und packend
Typisch Iggy Pop setzt er auch in späteren Jahren keine stilistischen Grenzen. Kraftvoller Punkrock („Modern Day Bootleg“, „Neo Punk“), lässige Rhythmus-Ballade („Morning Show“) und Synthie-Einschlag („Review“) verschmelzen zu Recht zu einem Mann, der sonst ohne Oberkörper herumläuft , packendes Album, das beim ersten Hören zündet.
Unglaublich cooler, tiefer Sound trägt alles – und wird von renommierten Musikern begleitet. Duff McKagan von Guns N’ Roses am Bass. Zu den Schlagzeugern gehören Chad Smith (Red Hot Chili Peppers), Travis Barker (Blink-182) und der kürzlich verstorbene Foo Fighters-Schlagzeuger Taylor Hawkins. Das ehemalige Chili Peppers-Mitglied Josh Klinghoffer spielt Gitarre und verschiedene Keyboards. Ebenfalls zur Besetzung gehören Dave Navarro und Eric Avery von Jane’s Addiction. Viele Musiker sind auch als Co-Songwriter aufgeführt. Produziert wurde es von Andrew Watt, der bereits mit Justin Bieber, Miley Cyrus und Pearl Jam zusammengearbeitet hat.
Iggy Pop kündigt in seiner unvergleichlichen Art an, dass er euch mit seinem 19. Album schlagen wird. Mit 75 Jahren muss die 75-jährige Punk-Ikone bei solchen Worten vielleicht lachen. Schließlich ist Iggy Pop, einst ein schüchterner Junge, der mit bürgerlichem Namen Jim Osterberg heißt, kein verhasster und gefürchteter Antiheld mehr, sondern eine geliebte Kultfigur.
Auf dem Albumcover ist ein junger Iggy Pop zu sehen. Diese Fotos wurden wahrscheinlich Ende der 70er Jahre aufgenommen. Wie passend. Denn „Every Loser“ ist ein Album, das auch von Nostalgie und Erinnerungen an wilde Zeiten lebt. Ein großartiges und angemessenes Spätwerk. Vielleicht nicht zu hart, aber musikalisch im positiven Sinne anregend.