Zehn Jahre zwischen Boom und Pleite: Der chinesische Fußball ist ins Trudeln geraten
Ein Jahrzehnt, nachdem das sprudelnde chinesische Geld zum ersten Mal auf dem Weltfußballmarkt Wellen schlug, erscheint die einstige Gewissheit, dass China zu einem wichtigen Akteur im Fußball werden würde, immer mehr wie ein Glücksspiel mit hohen Gewinnchancen.
Mit der Entscheidung, die Rechte für die Endrunde des Asien-Pokals im nächsten Jahr abzugeben, die China am vergangenen Wochenende unter Berufung auf Unwägbarkeiten des Covid-19 getroffen hat, steht der chinesische Fußball vor einer ungewissen Zukunft.
Die Austragung der alle vier Jahre stattfindenden Kontinentalmeisterschaft in neun glitzernden neuen Arenen und einem umgebauten Stadion sollte ein Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung der von Präsident Xi Jinping angestrebten Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft sein.
Dieser Traum scheint nun weiter entfernt zu sein als je zuvor.
Die Auswirkungen der globalen Gesundheitskrise und Chinas Verfolgung einer Null-Covid-Strategie sowie die zunehmenden Schwierigkeiten im Wirtschaftssektor, der viele der Vereine des Landes finanziert, haben den Fußball in Aufruhr versetzt.
"Chinas sportliches Ökosystem hat seinen Glanz verloren", so Mark Dreyer von China Sports Insider gegenüber Reuters.
"Wer würde China eine WM-Bewerbung zutrauen, wenn man bedenkt, was wir in den letzten zwei Jahren durch die Pandemie erlebt haben?
"Was den Fußball betrifft, haben wir im Grunde den kompletten Boom und Bust erlebt.
Das aktuelle Klima ist weit entfernt von dem Tag, an dem Guangzhou Evergrande am Dienstag vor zehn Jahren den Weltmeister Marcello Lippi als neuen Cheftrainer mit einem Jahresgehalt von 10 Millionen Euro (10,44 Millionen Dollar) vorstellte.
Neue Ära
Die Ankunft des Italieners läutete eine neue Ära des chinesischen Fußballs ein, die vor allem durch das Geld ehrgeiziger Bauunternehmer angeheizt wurde, die entschlossen waren, den Traum von Xi zu verwirklichen.
Innerhalb von 18 Monaten nach seiner Ankunft hatte Lippi Guangzhou zum Titel in der asiatischen Champions League geführt. Zwei Jahre später wiederholte ein anderer Weltpokalsieger, Luiz Felipe Scolari, dieses Kunststück.
Abgesehen von der anhaltend schwachen Nationalmannschaft erlebte der Fußball in China einen Höhenflug, und die Summen, die für Spieler und Trainer aus aller Welt ausgegeben wurden, stiegen mit dem Aufschwung der chinesischen Super League.
Oscar tauschte 2016 den FC Chelsea gegen Shanghai und erhielt ein Gehalt von knapp einer halben Million Dollar pro Woche. Er folgte damit seinem brasilianischen Landsmann Hulk, der für eine Ablösesumme von rund 50 Millionen Dollar aus St. Petersburg wechselte.
Die Unternehmer des Landes strömten derweil nach Europa, um Fachwissen in Chinas aufstrebende Fußballindustrie zu importieren. Bald befanden sich Atlético Madrid, der AC Mailand und Inter Mailand in chinesischem Besitz.
Die Verbände wurden umworben. Die FIFA ging eine Partnerschaft mit Wanda Sports ein, und das Jack-Ma gehörende Unternehmen Alibaba verpflichtete sich, die erweiterte Klub-Weltmeisterschaft bei ihrer für 2021 geplanten Neuauflage in China zu sponsern.
Eine Bewerbung um die Ausrichtung der Weltmeisterschaft im Jahr 2030 oder 2034 wurde erwartet, und die Rechte für den Asien-Cup 2023 wurden auf dem außerordentlichen Kongress der Asiatischen Fußballkonföderation 2019 in Paris gesichert.
Ein gewisser Wandel lag bereits in der Luft, bevor Covid-19 Ende 2019 auftauchte, doch die darauf folgende weltweite Pandemie brachte den Fußball ins Trudeln.
Fieberhafter Traum
Die Klub-Weltmeisterschaft 2021 wurde ohne Erweiterung an die Vereinigten Arabischen Emirate vergeben, und nun wurden die Rechte für den Asien-Cup zurückgegeben, so dass Chinas Hoffnungen auf die Ausrichtung der Weltmeisterschaft kaum mehr als ein Covid-19-Fiebertraum zu sein scheinen.
Im Vereinssport ist der Niedergang ebenso rasant: Der Jiangsu FC, der der Suning-Gruppe, dem Eigentümer von Inter Mailand, gehört, musste nur wenige Monate nach dem Gewinn des Titels der chinesischen Superliga 2020 aufgeben.
Der Druck der Regierung auf die hoch verschuldeten Bauunternehmen hat dazu geführt, dass zahlreichen Vereinen, darunter auch Guangzhou, die Mittel gekürzt wurden, während die CSL aufgrund der Null-Covid-Strategie des Landes nur noch eine Hülle ihres früheren Selbst ist.
Angesichts der deutlich niedrigeren Löhne und der düsteren Aussicht, in fanfreien, biologisch gesicherten Räumen zu spielen, sind nur noch wenige der hochkarätigen Spieler übrig geblieben, die einst in die Liga strömten.
Die 19. CSL-Saison soll im nächsten Monat beginnen, aber der genaue Starttermin ist noch ungewiss.
"Xi Jinping ist bekanntlich ein Fußballfan, aber Fußball wird auf seiner Prioritätenliste im Moment weit unten stehen", sagt Dreyer, Autor von Sporting Superpower: An Insider's View on China's Quest to Be the Best".
"Früher galt es als sicher, dass er die Ausrichtung einer Fußballweltmeisterschaft in China noch erleben würde, aber ich glaube, jetzt steht es nur noch 50:50.
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Quelle: edition.cnn.com