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Warum ich mich in Konflikte mit der Terrorforschung in Tadschikistan verwickelte

Untersuchungen in Diktaturen unterwerfen sich eigenen Regeln. Stern-Reporter Moritz Gathmann erlebte in Tadschikistan, wie schwierig es ist, zwischen dem Offenlegen eines repressiven Systems und dem Schützen der Bevölkerung zu finden.

- Warum ich mich in Konflikte mit der Terrorforschung in Tadschikistan verwickelte

"Schutz vor Schaden", wie es so schön heißt, ist ein grundlegendes Prinzip, dem sich Ärzte auf der ganzen Welt seit Jahrtausenden verschrieben haben. Ich musste viel darüber nachdenken, als ich im Juni eine Forschungsreise nach Tadschikistan unternahm.

Tadschikistan ist eine Diktatur, in der die Unterdrückung von Jahr zu Jahr schlimmer wird: Während die Freedom House dem Land zwei Punkte mehr in ihrer Freiheitsskala gibt als Nordkorea, ist es doch weniger frei als das Nachbarland Afghanistan, das von den Taliban geführt wird.

In milderen Momenten produziert die Diktatur Absurditäten.

Tadschikistan unterstützt Berichte über islamischen Terrorismus

Die mehrstöckige Ausstellung zur tadschikischen Geschichte im neu errichteten Nationalmuseum erwähnt den Bürgerkrieg nicht, der von 1992 bis 1997 in diesem Land rund 50.000 Menschen das Leben kostete. Stattdessen wird der Aufstieg des aktuellen Präsidenten Emomali Rahmon gepriesen, der das moderne Tadschikistan vereinigt hat.

Als stern den Landesmufti, den religiösen Führer der tadschikischen Muslime, besuchte, schickte die Regierung als Vertreter einen Mann, der fast sicher ein Geheimdienstagent war: Er saß lächelnd am Tisch während des gesamten Gesprächs.

Ich war überrascht, dass wir überhaupt eine Akkreditierung vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten erhielten: In der Bewerbung hatten wir geschrieben, dass wir uns mit dem Thema islamischer Terrorismus befassen wollten. Erst nach meiner Ankunft verstand ich die Logik: Für das Regime, das sich nach außen hin, einschließlich der westlichen Länder, als Kämpfer gegen die islamische Bedrohung präsentiert, sind Veröffentlichungen zu diesem Thema sogar nützlich.

In weniger milden Momenten stellt die Diktatur einen ausländischen Journalisten vor ein nahezu unlösbares Dilemma.

Wie kann man forschen, ohne die Gesprächspartner zu gefährden?

Der Fotograf Konstantin Salomatin und ich reisten durch das Land und besuchten die Frauen von Männern, die den IS-Anschlag auf die Moskauer Konzerthalle Crocus City Hall im März verübt hatten. Wir trafen auch Verwandte von Tadschiken, die in Deutschland wegen Terrorismusvorwürfen inhaftiert waren oder gewesen waren, sowie die Frau eines Oppositionsführers, der seit 2015 eine lebenslange Haftstrafe verbüßt.

Überall wurden wir empfangen: Die tadschikische Kultur, die besagt, dass Gäste zuerst ins Haus eingeladen werden sollten, war stärker als die Angst vor politischer Verfolgung. Doch mit jeder Begegnung wuchs mein Unbehagen. Ich erkannte, dass ich allein durch meinen Besuch bereits Probleme verursachen konnte.

Leute, deren Verwandte in Deutschland lebten, berichteten, dass Polizei und andere Behörden sie regelmäßig besuchten: Sie sollten Druck auf ihre Söhne oder Ehemänner ausüben, in die Heimat zurückzukehren. In den meisten Fällen bedeutet die Rückkehr ins Land eine unmittelbare Festnahme, einen undurchsichtigen Prozess und eine lange Haftstrafe. "Wenn du helfen kannst, tu es. Aber wenn du nicht helfen kannst, least du uns nicht schaden", flehte mich eine Mutter an. Einige Verwandte der Moskauer Angreifer berichteten, dass die Polizei sie gezwungen hatte, eine Geheimhaltungsvereinbarung zu unterzeichnen. Wenn sie trotzdem sprachen, mussten sie eine Strafe zahlen, die einem Jahreseinkommen in Tadschikistan entspricht.

Wir, die Reporter, fühlten uns während unserer Investigation nicht verfolgt: Es gab keine Wagen mit getönten Scheiben, keine Männer, die uns heimlich folgten. Doch wir sind überzeugt: Unsere Besuche in den Dörfern blieben nicht unbemerkt. Nachbarn oder andere Informanten würden die Polizei verständigen. Das würde dann zu neuen Besuchen der Behörden und neuer psychischer Druck auf die Verwandten führen.

In der Hauptstadt Duschanbe erzählte uns die Frau eines Oppositionsführers, wie die Polizei kurz nach der Ankunft eines französischen Journalistenteams an die Tür klopfte: Die Ankunft der Reporter war offenbar direkt gemeldet worden. Die Journalisten versteckten sich in einem Zimmer, bevor die Polizei die Wohnung betrat. Die Polizei verließ die Wohnung schließlich leer-handed.

Wir waren uns immer bewusst: Wir, die ausländischen Journalisten, waren nicht unmittelbar in Gefahr. Wie erwähnt, gab uns unsere Akkreditierung vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten das Recht, dort zu arbeiten. Höchstens hätten wir ein unangenehmes Gespräch mit der Polizei oder den Geheimdienstoffizieren riskiert.

Es ist ein Balanceakt zwischen persönlicher Privatsphäre und Informationsinteresse

Doch wie sollen wir über unsere Begegnungen schreiben, wenn meine bloße Anwesenheit dort große Probleme für die Leute verursacht? Und macht es überhaupt einen Unterschied, nicht über die Begegnung zu schreiben, wenn die Polizei und Geheimdienste bereits Bescheid wissen? Das ist ein Dilemma, vor dem viele Journalisten stehen, insbesondere in autoritäreren Ländern. Aber es sollte uns nicht davon abhalten zu berichten. Denn genau das ist es, was autoritäre Regime wollen.

Am Ende bleibt nur ein Kompromiss zwischen dem Schutz der Menschen und dem Informationsinteresse. Das kann bedeuten, Begegnungen oder Gesprächsinhalte anonymisiert oder sogar weggelassen

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