Was in Millionen Haushalten und großen Industriebetrieben ungenutzt im Abfluss verschwindet, ist für den Vorstandsvorsitzenden der Emschergenossenschaft, Uli Paetzel, nicht weniger als ein «ungehobener Schatz für die Wärmewende»: Abwasser. Der Wasserwirtschaftsverband an Emscher und Lippe will die Wärme des Schmutzwassers in den Kanalrohren stärker als bislang zum Heizen von großen Gebäuden und neuen Wohnquartieren nutzbar machen.
Aquathermie heißt die Technologie, deren «gigantisches Potential» dem Verband zufolge bislang noch zu großen Teilen ungenutzt bleibe. Dabei sei die Technik erprobt, klimafreundlich und angesichts gestiegener Gaspreise zunehmend wirtschaftlich, so das Fazit einer Tagung mit Vertretern aus Kommunen, Stadtwerken, Wasserverbänden und Wohnungswirtschaft an diesem Donnerstag in Bochum zum Thema.
Der Mix aus abgegossenem Nudelwasser, heißer Dusche und Toilettenspülungen hat laut Emscherverband immerhin eine Durchschnittstemperatur von 25 Grad. In den gut isolierten unterirdischen Kanälen habe das Abwasser noch eine Temperatur von 10 bis 15 Grad. Diese Restwärme kann mit Hilfe eines Wärmetauschers im oder neben dem Kanalrohr über eine Wärmepumpe zurück in den Heizkreislauf gegeben werden. Mit der sogenannten Aquathermie könnten laut Untersuchungen je nach Studiendesign in Deutschland vier bis zwölf Millionen Menschen klimafreundlich heizen.
Gerade in dicht besiedelten Räumen wie dem Ruhrgebiet stelle Abwasserwärme damit eine ernstzunehmende Alternative zu Gas und Öl dar, so Paetzel. Weiterer Vorteil: Die Wärmequelle versiegt nicht und sei unkompliziert nutzbar. Würde nur ein Zehntel der potenziellen Abwasserwärme genutzt, könnte allein im Einzugsgebiet von Emscher und Lippe der Wärmebedarf einer mittelgroßen Stadt von etwa 30.000 Einwohnern gedeckt werden, rechnete Paetzel vor.
Besonders geeignet sind den Experten zufolge größere Gebäude oder Wohnquartiere mit einem möglichst ganzjährig hohen Wärme- oder Kältebedarf. Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Betrieb sei dabei, dass der Kanal nicht zu weit vom zu heizenden Objekt entfernt ist. Bereits seit 2009 deckt etwa ein Bochumer Hallenbad seinen Wärmebedarf zu 65 Prozent aus der Restwärme des eigenen Abwassers. In Dortmund wird ein Seniorenzentrum größtenteils mit Abwasser beheizt. In Essen gibt es konkrete Überlegungen, ein neues Wohnquartier größtenteils mit Abwasserwärme zu versorgen.
Die Zahl der hierzulande realisierten Abwasserwärme-Vorhaben ist dennoch bislang überschaubar und hinkt der Entwicklung in anderen europäischen Ländern hinterher, wie Stephan von Bothmer schilderte, dessen Firma Uhrig Energie europaweit solche Bauprojekte umsetzt. Die Technik sei noch zu unbekannt und es scheitere oft an dem erfolgreichen Austausch zwischen Wasserwirtschaft auf der einen und Energiebranche auf der anderen Seite. Erst steigende Gaspreise im Zuge des Kriegs in der Ukraine hätten eine größere Nachfrage-Dynamik in Deutschland in Gang gesetzt, berichtete er.
Zum Gelingen der Wärmewende müssten alle Potentiale der erneuerbaren Energien vor Ort ausgeschöpft werden, betonte auch Landesklimaministerin Mona Neubaur (Grüne). Es gelt einen ganzen «Blumenstrauß von Angeboten» in die kommunale Wärmeplanung zu integrieren, um erfolgreich zu sein. Da könne auch die Aquathermie ein sinnvoller Baustein sein. Wichtig sei ein kluges Zusammenspiel der beteiligten Partner aus Kommunen und Politik, Wasser- und Wohnungswirtschaft, um vor Ort gute Lösungen zu gestalten.