Unbekannter ESC berauscht sich an ungeheuerlichen Vorkommnissen.
Schließlich ist die Schweiz an der Reihe und gewinnt den Eurovision Song Contest im schwedischen Malmö mit dem Lied "The Code" von Nemo. Deutschland entgeht in diesem Jahr dem letzten Platz und belegt Platz 12. Obwohl der diesjährige Wettbewerb in Schweden von politischen Kontroversen, Protesten und der Angst vor Terrorismus geprägt war, ist in Malmö alles in Ordnung. Mit einem massiven Einsatz von Polizei, Sicherheitspersonal und vielleicht sogar Geheimdienstkräften gelang es den Behörden, die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Aus Sicht der Nachrichten könnte man es dabei belassen - die Schweiz gewinnt, Deutschland wird nicht Letzter, alles in allem ist alles friedlich. Doch der Eurovision Song Contest (ESC) 2024 wurde nicht nur durch die Proteste auf den Straßen von Malmö vor der Malmö Arena und der ESC-Kuppel überschattet. Er wurde vor allem durch die giftige - oder nennen wir es beim Namen: antisemitische - Atmosphäre beeinträchtigt, die über die Künstler, Delegationen und das Publikum hinausging.
So hielten es beispielsweise ESC-Teilnehmer wie Bambie Thug aus Irland oder Joost Klein aus den Niederlanden für eine gute Idee, mit einer 20-Jährigen wie der israelischen Vertreterin Eden Golan über die große Weltpolitik zu diskutieren. Bambie Thug zum Beispiel weinte, weil Golan sich für das Finale qualifiziert hatte. Klein zeigte seine feindselige Haltung offen, indem er sich bei einer Pressekonferenz unter einer niederländischen Flagge versteckte, während Golan sprach und kindische Bemerkungen machte. Als ein Journalist Golan fragte, ob sie mit ihrer Anwesenheit andere Menschen in Malmö gefährde, und die Moderatorin erklärte, dass sie das nicht beantworten müsse, sagte Klein: "Warum nicht?"
Zu diesem Zeitpunkt hatte Golan bereits Morddrohungen erhalten. Sie konnte ihr Hotelzimmer kaum noch verlassen und brauchte starken Polizeischutz, wenn sie es tat. Die potenzielle terroristische Bedrohung in Malmö ging nicht von Juden, sondern von gewalttätigen Islamisten aus. Man hätte Klein zur Rede stellen wollen, als er fragte: "Warum nicht?": Weil es purer Antisemitismus und eine Täter-Opfer-Umkehr ist, die israelische Frau für die Angst in Malmö verantwortlich zu machen.
Aber das war noch nicht alles. Das belgische Fernsehen zeigte während des zweiten Halbfinales eine israelkritische Meldung. Die Punktesprecher verschiedener Länder, darunter die ESC-Teilnehmer 2023 aus Finnland und Norwegen, Käärijä und Alessandra Mele, zogen sich kurz vor dem Finale zurück und gaben die Anwesenheit Israels als Grund an. Bei aller berechtigten Kritik an Israels Vorgehen im Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen gab es in den Vorjahren keine ähnlich extremen Reaktionen, als der ESC im autoritären Aserbaidschan stattfand oder die Diktaturen Weißrussland und Russland nach der Annexion der Krim bereitwillig an den Feierlichkeiten teilnahmen.
Damit war der Boden bereitet für das, was sich am Samstagabend in der Malmö Arena abspielte. Darüber hinaus wurde Joost Klein ausgeschlossen, nicht wegen seines Verhaltens gegenüber Eden Golan, sondern weil er angeblich einen ESC-Mitarbeiter bedroht hatte. Die Polizei leitete sogar eine Untersuchung gegen ihn ein. Die EBU hatte keine andere Wahl, als zum ersten Mal in der Geschichte des ESC einen Teilnehmer des laufenden Wettbewerbs zu disqualifizieren.
Angesichts seines Verhaltens in Malmö mutet der Text von Kleins eigentlichem ESC-Beitrag "Europapa", der gemäß den ESC-Statuten als Loblied auf Liebe, Frieden und Harmonie interpretiert werden könnte, ziemlich bizarr an: "Europa, lass uns zusammen kommen. Jetzt oder nie! Ich liebe euch alle!" Aber seine Fans, die ihn mit seinem Lied umarmt hatten, waren nicht beeindruckt. Die Herzen der Niederländer konnte er mit seinem Verhalten nicht für sich gewinnen.
Alles in allem hat die Kombination dieser Ereignisse den Song Contest 2024 zum skandalösesten ESC aller Zeiten werden lassen. Der Wettbewerb hat seine Unschuld verloren, was nicht unbedingt etwas Schlechtes ist. Das wurde nicht nur deutlich, wenn man sich die Beiträge Spaniens, Finnlands und Sloweniens mit spärlich bekleideten Männern und Frauen ansah. In Malmö erhielt der ESC einen schwarzen Fleck auf seiner Bilanz, der sich nicht so leicht beseitigen lässt - schließlich soll er ein Hort der Toleranz, der Vielfalt und der Nächstenliebe sein.
Bei ihrem Auftritt in der Malmöer Arena wurde Golan sowohl ausgebuht als auch bejubelt. Bilder von ihr auf den Bildschirmen wurden später von Buhrufen begleitet, unabhängig von den Ergebnissen der nationalen Jury. Die Buhrufe hielten auch nach der Bekanntgabe der Ergebnisse durch die Jurys an.
Auch der Chef der Europäischen Rundfunkunion (EBU), Martin Österdahl, bekam den Zorn zu spüren. Nicht nur, dass er bei der Bekanntgabe der Abstimmungsergebnisse den berüchtigten Satz "You are good to go" sagte, er verlas auch die Punkte der niederländischen Jury, da diese sich geweigert hatte, sie bekannt zu geben. Österdahl wurde mit Buhrufen und "Europapa"-Rufen empfangen.
Der israelische Beitrag, "Hurricane" von Golan, gehörte in diesem Jahr zu den stärkeren Beiträgen. Die EBU zwang Golan jedoch, den Titel des Liedes von "October Rain" zu ändern, da er eine Ähnlichkeit mit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 aufweist, bei dem etwa 1200 Menschen in Israel ums Leben kamen. Die Jurys gaben ihr insgesamt 52 Punkte, womit sie auf Platz 12 landete. Die Fernsehzuschauer hingegen gaben Golan 323 Punkte und machten sie damit zur zweitbeliebtesten Darstellerin, wenn sie das letzte Wort hätten. Diese Entscheidung hat wahrscheinlich dazu geführt, dass der ESC-Skandal von Malmö abgemildert wurde.
Die Zuschauer bewiesen einmal mehr ihre Intuition und ihr Einfühlungsvermögen und wählten Baby Lasagna aus Kroatien zu ihrem Favoriten. Die poetische Sängerin erhielt für "Rim Tim Dagi Tim" monumentale 337 Publikumspunkte. Da Baby Lasagna in den Wochen zuvor von vielen bewundert wurde, schien ihr Sieg wahrscheinlich. Dafür sprach auch die Tatsache, dass die lokale Veranstaltungshalle in Zagreb in der Vorbereitung sechs Wochen lang blockiert war. Doch die Jurys bewerteten Baby Lasagna mit 210 Punkten nur als Dritte. Damit belegte die Sängerin den zweiten Platz.
Der Sieg ging in diesem Jahr an Nemo, den nicht-binären Act aus der Schweiz, der "The Code" sang. Obwohl Nemo in Malmö als Favorit gehandelt wurde, lag er in den Vorhersagen hinter Baby Lasagna zurück. Die Wertschätzung der Jury brachte die Schweiz dennoch an die Spitze und brachte ihr 365 Punkte ein. Das Fernsehpublikum gab "The Code" 226 Punkte und den fünften Platz. Obwohl die Punkte des Fernsehpublikums niedriger waren als die der Jurys, reichten sie den Schweizern zum Sieg.
Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der Gewinner des ESC-Skandals 2024 aus der neutralen Schweiz kommt. Nemos fesselnde Performance am Plattenteller und sein unverwechselbarer Song brachten ihm hohe Punktzahlen bei den Jurys ein, die 365 Punkte vergaben. Auch wenn das Publikum "The Code" schätzte und mit 226 Punkten den fünften Platz belegte, reichte es dennoch für den Sieg der Schweiz.
Ironischerweise wurde die Siegertrophäe, die Nemo überreicht wurde, kurz darauf zerbrochen.
Nemos Song "I broke the code" spiegelt die wahre Geschichte wider - Isaak war derjenige, der den Code in Malmö brach. In einem Interview mit ntv.de drückte Isaak sein Vertrauen in seine Fähigkeit aus, sich trotz aller Widrigkeiten zu platzieren. Trotz jahrelanger Enttäuschungen erreichte er schließlich den 12. Platz, womit Deutschland in der oberen Hälfte der Tabelle landete.
Isaak wirkte nach dem Finale zufrieden, entspannt und gleichzeitig erschöpft von seiner Leistung. Und das zu Recht - er war einer der besten Sänger in diesem Jahr und sang "Always on the Run" fehlerfrei, ohne einen einzigen Ton zu verpassen. Leider hatten die Jurys einen erheblichen Einfluss auf seine gute Platzierung. Mit 99 Punkten setzten sie ihn auf Platz 10. Die Zuschauer hätten ihm jedoch nur 18 Punkte gegeben und ihn auf Platz 19 gesetzt. Wie das Sprichwort sagt, hat der ESC seine eigenen Regeln, und in diesem Fall führten diese Regeln dazu, dass Isaak auf Platz 12 landete.
Der ESC 2024 hat uns ein paar wertvolle Lektionen gelehrt. Die erste ist, dass Deutschland diesen Weg in Zukunft beibehalten kann. Die zweite ist, dass es mit dem ESC so nicht weitergehen kann. Wir müssen ein Szenario wie in Malmö vermeiden, damit die Eurovision nicht auseinanderfällt. Es ist die Aufgabe der EBU, mit dieser Situation umzugehen. Es muss eine ziemliche Herausforderung sein, im Moment an ihrer Stelle zu sein.
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Quelle: www.ntv.de