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Glanz übertrifft Krise: Russland spürt Sanktionen

Vielen Russen, die ursprünglich gerne Geld für Neujahrsfeste ausgeben wollten, ist aufgrund der Folgen des diesjährigen Krieges die Freude am Einkaufen vergangen. Die Moskauer Metropole zum Beispiel glänzt auf jedem größeren Platz mit kunstvollen Dekorationen und Weihnachtsbaum-Jolkas, als wolle sie beweisen, dass Energie für diese Ressourcen-Supermacht das Geringste ist. Doch der Glanz kann viele Probleme nicht verbergen: Viele Geschäfte sind geschlossen. Einkaufszentren sind manchmal leer. Restaurants haben sich über das Fehlen von Neujahrsfeiern beschwert.

Im Yevropejski-Einkaufszentrum am Moskauer Bahnhof Kiew standen die Boutiquen von Dior, Chanel und Swarovski leer. Tausende westliche Unternehmen haben wegen Moskaus Krieg gegen die Ukraine ihre Repräsentanzen in Russland aufgegeben, und EU- und US-Sanktionen haben die Geschäftstätigkeit erschwert oder unmöglich gemacht. Kirill Kulakov, Wirtschaftsprofessor, sagte, viele Einkaufszentren stünden kurz vor dem Bankrott. Viele Menschen sind durch die Abschaltungen während der Pandemie gestrandet.

“Nach dem Beginn der militärischen Sonderoperation in der Ukraine verschlimmert sich das Problem jetzt aufgrund des Rückgangs der Kaufkraft der Bevölkerung”, sagte er in einem Radiointerview. Kulakov rechnet mit einer Verschlechterung der Situation. Durch den Rückzug westlicher Unternehmen und Investoren haben viele Russen ihre Jobs verloren. Aber selbst für diejenigen mit Jobs ist das Geld knapp, da Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs teurer werden und die Inflation bei etwa 15 % liegt.

Wie ist die Stimmung in der Großstadt?

Russische Staatsmedien haben in Berichten im Ausland immer wieder Demonstranten und andere desillusionierte Menschen aus Deutschland gezeigt, die sich böswillig über Energiepreise, kalte Wohnungen und andere Nöte beschweren. Damit soll den Russen gezeigt werden, dass es zu Hause besser ist, wenn viele Wohnungen überheizt sind.

Aber wer zwischen Russland und Deutschland pendelt, wird schnell feststellen, dass sich die Stimmung in Moskau und anderen Städten zwar geändert hat, die Lichter jedoch düster sind. Der Lebensstandard sank. Niemand weiß, wie lange der Krieg dauern wird. Es gibt ernsthafte Befürchtungen, dass Kreml-Führer Wladimir Putin weitere Reservisten in den Krieg ziehen und damit weitere ganze Familienwelten zerstören könnte. Auch als Putin bei seinen Fernsehauftritten über die Fragen lächelte, war die Unsicherheit spürbar.

Viele Zahlen spiegeln dies wider. Verkäufer von Möbeln, Haushaltsgeräten und Elektronik klagten über Umsatzrückgänge von 30 % und mehr. Gleiches gilt für Baustoffe, Schuhe und Kosmetik. Zugegeben, trotz Apples Abgang in Moskau ist es kein Problem, das neuste iPhone zu bekommen. Aber zumal der Staat den Wechselkurs des Rubels kontrolliert, müssen die Menschen dafür bezahlen.

Einfuhrsteuern zur Vermeidung von Sanktionen

Signifikanter Anstieg sogenannter Parallelimporte Waren werden von Dritten unter Umgehung des Herstellers nach Russland importiert – Sanktionen werden umgangen. Die Türkei und Kasachstan, die westliche Sanktionen nicht unterstützen, sind wichtige Partner Russlands. Auch Russland hat Bedarf an Hightech-Produkten für Industrie und Rüstung. Nicht nur Sanktionen, insbesondere Lieferverbote für Chips, sind ein Hindernis, sondern es besteht weltweit ein Mangel an diesen Komponenten.

Die Krise zeigt sich besonders deutlich auf dem russischen Automarkt. Branchenangaben zufolge gingen die Neuwagenverkäufe von Januar bis November um 60 Prozent zurück. Von den 60 Automarken, die einst in Russland verkauft wurden, sind 14 übrig geblieben: drei russische Marken – Lada, UAZ und GAZ – und 11 chinesische Marken. Der bei Moskauer Bürokraten beliebte Neustart der sowjetischen Marke Moskvich ist eine Kopie des chinesischen Supermini JAC JS4.

Obwohl es nicht viele Möglichkeiten gibt, sind die Preise sehr beeindruckend. In den sozialen Netzwerken kursierte ein Video eines Käufers, der mit dem Verkauf eines chinesischen SUV-Modells, des Chery Exceed, auf der Moskauer Automesse für umgerechnet fast 90.000 Euro unzufrieden war. „Einen Mercedes GLE kann man in den USA kaufen“, schimpft er, wo er ein chinesisches Auto bekommt, das ein Drittel dessen kostet, was es im Herkunftsland kostet.

Joghurtbecher und russische Souveränität

Wie Autos klagt auch die Immobilienbranche immer noch über Ausverkäufe. Das Überangebot liegt daran, dass die Menschen kein Geld haben, um Häuser zu kaufen. Laut Statistik können Bauunternehmen derzeit ein Drittel der Wohnungen in Neubauten verkaufen. Das dürfte sich im kommenden Jahr verschlechtern, da die staatlich gedeckten Hypotheken, die den Markt bisher gestützt haben, auslaufen. Mehreren Bauunternehmen drohte daraufhin der Konkurs.

Bisher haben Putin und seine Regierung nur wenige Lösungen für das Problem angeboten. Stattdessen setzt der Kreml auf die krisenerprobte Genügsamkeit vieler Russen. Als Putin einmal gefragt wurde, ob kaum Farbe auf einer Joghurtdose etwas Schlechtes sei, antwortete er, ob schicke Verpackungen wichtiger seien als russische Souveränität. Er meinte damit, dass Russland trotz aller Nachteile und Sanktionen an seiner Außenpolitik festhalten und den Krieg in der Ukraine fortsetzen werde.

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