Um allen Eltern einen Kita-Platz anbieten zu können, setzt der Pforzheimer Oberbürgermeister Peter Boch auf Personalgewinnung statt aufgeweichter Betreuungsschlüssel. «Es wäre ein Leichtes zu sagen, wir verändern den Schlüssel. Dann hätte ich auf einen Schlag 300, 400 Plätze mehr», sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. «Aber ich habe Kitas, die schon mit der jetzigen Situation ringen.» Da gehe es zum Beispiel um Personalengpässe aufgrund von Krankheitsfällen.
Im Spagat zwischen Fachkräftemangel und Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz will das baden-württembergische Kultusministerium Kindertageseinrichtungen Möglichkeiten bieten, von festgelegten Betreuungsschlüsseln abzuweichen. Das Kabinett gab kurz vor der Sommerpause die Anhörung zur Einführung eines sogenannten Erprobungsparagrafen frei. Damit sollen die Träger in begründeten Fällen von den Regelungen abweichen und Modelle erproben dürfen. Das Gesetzgebungsverfahren soll bis Ende November abgeschlossen sein.
«Wenn man so etwas in Erwägung zieht, muss man die Betroffenen mitnehmen und es gut kommunizieren», sagte Boch. «Erzieherinnen und Erzieher sind diejenigen, die tagtäglich auf unser höchstes Gut aufpassen.» Die Pläne des Kultusministeriums sehen vor, dass das jeweilige Konzept mit den Beteiligten vor Ort abgestimmt wird.
Pforzheim sei die Stadt in Baden-Württemberg mit der höchsten Geburtenrate, sagte Boch. Laut Statistischem Landesamt liegt die Stadt mit 1,80 Kindern je Frau im vergangenen Jahr an der Spitze aller Stadt- und Landkreise. Der Landesschnitt betrug 1,50. «Mich freut’s, ich habe selber drei Kinder», sagte der Rathauschef.
Daher habe er den Ausbau an Betreuungsplätzen und die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch zu einem seiner Hauptvorhaben erklärt. Seit seinem Amtsantritt 2017 seien fast 500 Plätze für Kinder älter als drei Jahre geschaffen worden und 130 für jüngere, sagte Boch. In den nächsten Jahren solle diese Zahl auf mindestens 1000 neue Krippen- und Kindergartenplätze steigen.
«Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingt», sagte der Oberbürgermeister. Mit Blick auf den Rechtsanspruch sprach er aber auch von einem großen Kraftakt – sowohl finanziell als auch bei der Suche nach geeignetem Grund; auch weil zum Kita-Ausbau die erforderliche Erweiterung der Schulkindbetreuung hinzukomme. «Ich brauche aber nicht als attraktive Arbeitgeberin Stadt Pforzheim werben und Vereinbarkeiten von Familie und Beruf in den Fokus nehmen, wenn es mir nicht mal gelingt, jedem Elternteil die Möglichkeit zu geben, sein Kind in den Kindergarten geben zu können.»
Seit 2013 gibt es für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Eine kürzlich vorgestellte Studie des Bundesfamilienministeriums hatte ergeben, dass bei Kindern unter drei Jahren eine Lücke klafft: 49,1 Prozent der Eltern von unter Dreijährigen hatten demnach 2022 Bedarf an einem Betreuungsplatz. Die Betreuungsquote lag aber nur bei 35,5 Prozent. Bei älteren Kindern bis Schulbeginn betrug die Quote 92 Prozent.
Hans-Ulrich Rülke, Fraktionsvorsitzender der FDP im Pforzheimer Gemeinderat, erklärte: «Mit dem OB bin ich gemeinsam froh, dass wir bei diesem Thema Schritt für Schritt weiter kommen. Wir sind aber noch längst nicht dort, wo wir sein sollten.» Im vergangenen Jahr hätten rund 1400 Anfragen abschlägig beschieden werden müssen.
Die Aufweichung der Betreuungsschlüssel hält auch Rülke für eine schlechte Lösung. «Kinder brauchen individuelle Betreuung. Wir stehen auch vor der Herausforderung, immer mehr Migrantenkindern beim Spracherwerb helfen zu müssen. Man kann nicht beliebig viele in eine Gruppe pferchen.» Es brauche mehr Personal und mehr Einrichtungen.
Wichtige Aspekte bei der Personalsuche sind aus Bochs Sicht, dass Kita-Leitungen anteilig Zeit nur für ihre Führungstätigkeit bekommen, die Entfristung von Verträgen und die praxisintegrierte Ausbildung. «Meines Erachtens ist es ein riesen Pfund, wenn du praxisnah im Kindergarten lernen und hier zur Schule gehen kannst, dir nachher aber auch die Möglichkeit zur Übernahme angeboten wird», sagte er.
«Wir haben da vieles gemacht, damit Leute sagen, Erzieherin und Erzieher bei der Stadt Pforzheim ist ein guter Beruf», bilanzierte Boch. Letztlich gehe es ihm aber bei den Herausforderungen nicht anders als anderen Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg. «Es ist ein harter wettbewerblicher Kampf, wenn es darum geht, gutes Personal vorhalten zu können. Mir bringt natürlich die beste neugebaute Kita nichts, wenn am Ende des Tages das Personal fehlt.»